Samstag, 13. Oktober 2018

»Versuch über den Geist der Orthodoxie« von Jean Grenier

Jean Grenier

Jean Grenier - Albert Camus ehemaliger Philosophielehrer - legte seine Ansichten in dem 1938 erschienenen »Essai sur I'esprit de I'orthodoxle« (»Versuch über den Geist der Orthodoxie«) dar: "Unsere Zeit ist Hegel ausgeliefert, wie sie dem Krebs und der Tuberkulose ausgeliefert ist."

Camus kannte das Buch natürlich, und so stößt man bei ihm auf viele Thesen aus diesem Werk, das Greniers bestes ist: die Kritik an einem Staat, der die Freiheit beschränkt, die Analyse der Orthodoxie a1s einer Doktrin der Ausschliel3ung, die Erklärung ihres Erfolgs mit der Angst vor selbstständigem Denken und mit dem beruhigenden Gedanken, einer Gruppe zugehörig zu sein. Die Diagnose, Intellektuelle neigten zur Meutenbildung.

Die Feststellung der tekeologischen Ahnlichkeiten zwischen Christentum und Marxismus. Grenier sah eine Mitverantwortung der Surrealisten für den zeitgenössischen Nihiiismus, kritisierte den massiven Zustrom der linken Intelligenz zum Kommunismus und den zunehmenden Religionscharakter des Marxismus.

Er erkannte die Grenzen dieser Ideologie, die nicht als Erklärung fur alles tauge, monierte den Sophismus der Dialektik und den Determinismus der Idiosynkrasien. Er Iehnte den zeitgenüssischen Manichäismus ab, der jeden Nicht-Kommunisten zum Faschisten erklärte, und hielt einen nicht-marxistischen Kommunismus für möglich. Er kritisierte den radikaloptimistischen Fortschrittsglauben und den ökonomischen Determinismus - nicht die wirtschaftiiche Infrastruktur bestimme den ideologischen Überbau, sondern der Geist beherrsche umgekehrt die Ökonomie.

Er stemmte sich gegen die zeitgenössische intellektuelle Diktatur und rief konsequenterweise zur Einsamkeit auf. Marx hielt er fur blind in Bezug auf dre geschichtlichen Entwickiungen der nahen Zukunft. hatte er doch nicht vorausgesehen, dass die N'littelklasse sich eher itir den Kapitalismus entscheiden würde a1s für die Revolution, dass der Sozialismus national werden. die Revolution nach rechts und der Konservatismus nach links ausschwenken würde. Grenier zufolge war die Revolution zunächst eine Sache des Geistes, nicht der wirtschaft.

Die Freiheit des Denkens verteidigte er vehement.Er trat für eine neue Volkskultur ein; den Hegelianisrnus wollte er lieber Victor Cousin zur offiziellen französischen Philosophie machen und mit dem rehabilitierten Nietzsche der »Unzeitgemäßen Betrachtungen« austarieren.

Im Jahr 1938 war ein solches Buch geradezu prophetisch.